Fühlt Ihr Euch als Auslands-Deutsche auch von der deutschen Politik vergessen?

Kanzlerin Merkel erneuerte im TV-Duell ihre Haltung zur doppelten Staatsbürgerschaft

Kanzlerin Merkel erneuerte im TV-Duell ihre Haltung zur doppelten Staatsbürgerschaft Source: SBS

Fünf Studiogäste diskutieren im SBS-Paneltalk im Vorfeld der deutschen Bundestagswahl und liefern interessante Einblicke: Warum sich Deutsche im Ausland ignoriert fühlen, das Interesse für deutsche Politik ungebrochen ist und in welcher Hinsicht Australiens Politiker von deutschen lernen könnten.


Knapp drei Wochen vor der Bundestagswahl lud SBS German fünf Gäste zum monatlichen Communitytalk ins Studio ein: vier Deutsche und eine australische Staatsbürgerin.

Hören Sie den Podcast in voller Länge oder lesen Sie hier die Meinungen zu einigen der lebhaft diskutierten Themen.
Rainer Trefz, Anja Kazmeier, Heather Benbow, Alicia Hässlein und Irina Herrschner
Rainer Trefz, Anja Kazmeier, Heather Benbow, Alicia Hässlein und Irina Herrschner (SBS) Source: SBS

Die doppelte Staatsbürgerschaft

Die deutsch-australische Doppel-Staatsbürgerschaft ist für viele im Ausland Lebende eines der wichtigsten Anliegen. Gleichzeitig wird es von der deutschen Politik in den Augen vieler zu wenig und zu kritisch betrachtet.

"Wir haben keine generelle doppelte Staatsbürgerschaft und dabei bleiben wir auch", diese Haltung bekräftigte Kanzlerin Angela Merkel erneut im Fernsehduell mit ihrem Herausforderer Martin Schulz am 3. September.

Auslands-Deutsche müssen den Weg über die "Ausnahmeregelung" gehen, wenn sie Doppel-Staatsbürger werden wollen, also einen Antrag auf Beibehaltung stellen.

Die doppelte Staatsbürgerschaft ist im CDU/CSU-Lager ein rotes Tuch. Seit der Diskussion über deutsch-türkische Doppel-Staatsbürger hat sich die Stimmung auch in der Bevölkerung zu diesem Thema weiter verschlechtert.

"Das Thema ist leider vergiftet in Deutschland. Was mich furchtbar aufregt, ist, dass es für EU-Bürger anders gesehen und gehandhabt wird", erklärt Rainer Trefz den Umstand, dass es Deutschen im Nicht-EU-Ausland ungleich schwieriger gemacht wird.

3,4 Millionen Deutsche leben im Ausland - politisch werden sie in Berlin kaum wahrgenommen.

"Die doppelte Staatsbürgerschaft ist ja nichts Schlechtes. Es kommt einfach darauf an, was man daraus macht. Ich denke, die Verfassung ist bei diesem Thema absichtlich vage gehalten", sagt Alicia Hässlein.

Die Australierin Heather Benbow, die an der University of Melbourne zum Themengebiet "German and European Culture" forscht, meint: "Ich wäre sehr gerne deutsche Staatsbürgerin, aber es wird einem sehr schwer gemacht, weil sich Deutschland nicht damit abfinden kann, dass es ein Migrationsland ist."

Die SBS-Panelgäste merken kritisch an, dass sich viele im Ausland lebende Deutsche von offizieller Seite - im Vergleich zu anderen Ländern - schlechter repräsentiert fühlen.
"Ich glaube, man denkt gar nicht an die Deutschen, die auswandern." (Heather Benbow)

Wählen im Ausland ist zu schwierig

Die Formalitäten für Auslands-Deutsche, um an Wahlen teilzunehmen, empfinden viele als zu kompliziert. Dies ist einer der Hauptgründe, warum nicht gewählt wird.

Aus der SBS-Panelrunde hat sich nur Irina Herrschner für die Bundestagswahl 2017 registriert.

"Es war einfach zu schwierig", erklärt Anja Kazmeier.

"Ich finde es auch sehr schwierig, als Deutsche im Ausland zu wählen", fügt Alicia Hässlein hinzu, "und das ist sehr schade".
Wie dieser Wähler 2013 in ein Wahllokal in Berlin gehen - das können Auslands-Deutsche klarerweise nicht
Wie dieser Wähler 2013 in ein Wahllokal in Berlin gehen - das können Auslands-Deutsche klarerweise nicht (JOHN MACDOUGALL/AFP/Getty Images) Source: JOHN MACDOUGALL/AFP/Getty Images

Ungebrochenes Interesse an deutscher Politik

Die fünf Studiogäste zeigen allesamt ein großes Interesse am politischen Geschehen in Deutschland - auch im Vergleich zu Australien.

"Deutsche Politik ist immer noch das, mit dem ich mich identifizieren kann", sagt Irina Herrschner, die seit sieben Jahren in Melbourne lebt, "die deutsche Politik interessiert mich immer noch mehr als die australische".

"Bei mir ist das genauso. Die Frage nach dem Warum stellt sich gar nicht - ganz im Gegenteil. Ich finde es viel, viel interessanter aus der Distanz die deutsche Politik verfolgen zu können. Ich achte auf sie viel mehr als auf die australische", fügt Rainer Trefz hinzu.

"Bei mir ist es 50:50, aber die deutsche Politik interessiert mich auch sehr, die Innen- wie auch die Außenpolitik", sagt Anja Kazmeier, die deutsch-australische Eltern hat. "Es ist interessant zu sehen, wie unterschiedlich Wahlkämpfe sein können."

Alicia Hässlein warf in die Panelrunde ein: "Vor allem die Außenpolitik verfolge ich. Für mich geht das Hand in Hand: Ich kann nicht Australierin sein, ohne Deutsche zu sein. Das liegt auch daran, dass ich nicht aus Deutschland ausgewandert bin, sondern meine Eltern versetzt wurden."

Was Australien von Deutschland lernen kann

Die Vorgänge in der deutschen Innenpolitk unterscheiden sich naturgemäß teils erheblich von jenen in Australien.

Dass Union und Sozialdemokraten eine Große Koalition bilden, wäre in Australien, wo Liberals und Labor nicht gemeinsam regieren, wohl undenkbar.

Diese Voraussetzungen spiegelten sich im Kanzlerduell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz wider. Bei gemeinsam regierenden Parteiein, die in der Regel die Entscheidungen der jeweiligen Ministerien mittragen, ergeben sich weniger Reibungsflächen.

"Die beiden großen Parteien haben bereits zweimal zusammen regiert, seit Angela Merkel Kanzlerin ist. Aus diesem Grund können beide schlecht gegeneinander reden", erklärt Heather Benbow von der University of Melbourne. "In Australien ist das völlig anders, da muss man versuchen, immer gegen die Vorschläge des anderen zu sein."

"Labor und Liberals sind sich ja eigentlich recht nahe, aber das würden sie nie zugeben", glaubt Alicia Hässlein.

"In der deutschen Politik ist man kompromissbereiter", meint Rainer Trefz, "die Grabenkämpfe in Australien finde ich furchtbar. Immer dagegen zu sein, auch wenn ein vernünftiger Vorschlag auf dem Tisch liegt, ist überhaupt nicht zielführend und nicht so, wie der Job gemacht werden sollte."
"Der deutsche Konsens-Ansatz, auch wenn er langweilig erscheinen mag, ist viel sinnvoller, finde ich." (Rainer Trefz)
Der deutsche Bundestag in Berlin
Der deutsche Bundestag in Berlin (AP Photo/Michael Sohn) Source: AP
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